Wenn sich morgen China und die EU in Prag treffen, ist klar, wer den Ton angibt. Europa wird in China nicht mehr ernst genommen – selbst seine Unternehmen sind inzwischen verpönt.

Aus Pekinger Sicht ist Brüssel unwichtig geworden. Ausgerechnet vor dem EU-China-Gipfel am Mittwoch in Prag führt an dieser Erkenntnis kein Weg mehr vorbei. Schon das Datum des Gipfels ist dafür ein Beweis: Er war ursprünglich für den vergangenen Dezember in Lyon geplant, doch damals von China ganz kurzfristig abgesagt worden.

Peking wollte damit den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy dafür bestrafen, dass er den Dalai Lama getroffen hatte. Sarkozy, damals gerade EU-Ratspräsident, sollte öffentlich blamiert werden. Egal wie man über diese Motive denkt, mit seiner Absage hatte Peking erstmals seine Geringschätzung der EU als Gesprächspartner offen demonstriert.

Vetomacht im Sicherheitsrat, aufstrebende Wirtschaftsmacht

Nun wird der Gipfel also nachgeholt, aber das heisst nicht, dass er für beide Seiten gleich wichtig wäre. Vielmehr ist da ein grosses Ungleichgewicht zu spüren, das symptomatisch ist für den Gesamtzustand der Beziehungen. Noch nie war das Gewicht Chinas in den Überlegungen der Europäer so gross wie heute. Kein weltpolitisches Thema, das die EU aufgreift, wäre heute noch ohne Dialog mit Peking vorstellbar. Ob Völkermord im Sudan, Klimawandel oder das Weltfinanzsystem – China ist als aufstrebende Wirtschaftsmacht, als Vetomacht im Uno-Sicherheitsrat oder schlicht wegen der enormen Grösse seiner Bevölkerung in keiner Diskussion mehr zu vernachlässigen.

Ganz anders sieht die Welt aus der Perspektive der Chinesen aus. Peking stehe inzwischen «weltweit bei allen grossen globalen Fragen im Zentrum, während der Einfluss der EU sich bis zu einem Grad abgeschwächt hat, an dem China ihn weitgehend ignorieren zu können glaubt», schreiben die Autoren einer neuen Studie des European Council on Foreign Relations. Schuld daran seien die Europäer selbst, die sich gegenseitig Konkurrenz machten, Chinas «Lieblingspartner» in Europa zu werden. China dagegen sei eine «geschickte und pragmatische Macht, die weiss, wie die EU zu handhaben ist», schreiben die Wissenschaftler.

Das Versagen der europäischen Diplomatie

In der Tat ist bei allen wichtigen Themen der vergangenen Jahre ein fast komplettes Versagen der europäischen Diplomatie gegenüber China zu beobachten. Egal wie viele Kommissare die EU auf China-Reise schickt, meistens kommen sie mit leeren Händen zurück. China hat jahrelang die Forderungen der Europäer ignoriert, beim Klimaschutz aktiver zu werden. Erst seit die USA unter Barack Obama ihr Interesse an dem Thema entdeckt haben, gibt es da auch in China Bewegung. Das inzwischen auf 170 Milliarden Euro angewachsene Handelsdefizit der EU mit China verursacht niemandem in Peking schlaflose Nächte, egal wie oft es in Brüssel moniert wird. China schützt befreundete Länder wie den Iran oder den Sudan meist vor schärferen Sanktionen, egal was die Europäer befürworten.

«Die EU ist schwach, politisch geteilt und militärisch einflusslos. Wirtschaftlich ist sie ein Riese, aber wir fürchten sie nicht länger, weil wir wissen, dass die EU China mehr braucht als China die EU.» So formuliert es der neo-autoritäre chinesische Akademiker Pan Wei, den die Autoren der genannten Studie zitieren. Pekings Spitzenpolitiker sind viel zu diplomatisch, um so etwas öffentlich zu sagen. Dass sie so oder ähnlich denken, ist allerdings inzwischen klar.

China hoffte auf mehr Gleichgewicht

Zum Teil spiegelt diese Abkühlung der Beziehungen zwischen der EU und China einfach weltpolitische Realitäten. Vor dem Irak-Krieg, als sich einige Länder in Europa gegen Washington zu stellen wagten, hatten in Peking manche kurzfristig von einem eigenständigeren Europa geträumt. «Damals gab es in China ein gewisses Wunschdenken. Auf einmal sah es so aus, als sei Europa eine sehr eigenständige Macht», sagt Zhu Liqun, die Direktorin des Instituts für Internationale Beziehungen an der Pekinger Universität für Diplomatie. Heute sei da in China «Enttäuschung» eingetreten, so die Professorin.

Einen grossen Teil ihres aussenpolitischen Gewichtsverlustes aber haben die Mitgliedsstaaten der EU durch ihre nationale Eigenbrötlerei zu verantworten. Egal ob London, Paris oder Berlin – überall ist bilateraler Dialog mit China beliebter als ein gebündeltes Auftreten unter dem Dach der EU. Jeder hofft, die nächsten Milliardenaufträge aus China selbst unterzeichnen zu können. Und fällt eines der europäischen Länder in Peking in Ungnade, so hoffen die anderen klammheimlich, dass ihnen das zum Vorteil gereichen wird. Nach aussen hin aber regiert ein heilloser Opportunismus.

Jeder denkt zuerst an sein Land

Franzosen, Engländer, Deutsche, Skandinavier, selten ziehen in Peking alle an einem Strang. Diese anachronistische Strategie der einzelnen EU-Länder gegenüber China stammt aus der Zeit, als China ein Entwicklungsland und die Handelsströme noch überschaubar waren. Nun aber kommt die Europäer ihre Selbstüberschätzung im Umgang mit China teuer zu stehen.

Denn China verfolgt eine merkantilistische, eiskalt auf seine eigenen Interessen fokussierte und die Eifersüchteleien der Europäer für seine Zwecke instrumentalisierende Interessenpolitik. Als Beispiel seien die allmählich vom Winde verwehten Hoffnungen der Europäer genannt, kräftig am Ausbau der Windenergie in China mitverdienen zu dürfen. Jahrelang haben die Chinesen sämtliche europäischen Unternehmen zum Technologietransfer gezwungen. Nun haben sie begonnen, den Markt selbst zu dominieren. Bei erkennbar gesteuerten «Ausschreibungen» für neue Mega-Windparks in China bekommen die Europäer kein Bein auf den Boden. «Die Chinesen schaufeln ihren heimischen Firmen Referenzaufträge im künftig grössten Energiemarkt der Erde zu und drängen die Ausländer gezielt heraus», sagt Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking.

Europäische Firmen werden abgewiesen

Marktzugang für europäische Firmen in China, dessen Ausweitung Peking bei seinem WTO-Beitritt versprochen hatte, ist in vielen Bereichen stagnierend bis rückläufig. Eine zunehmend nationalistische Lobby-Arbeit chinesischer Grossunternehmen bewirkt, dass die Europäer von Geschäften mit Nuklearanlagen, Windparks oder der Stahlproduktion im «Milliardenmarkt» nur mitträumen dürfen, nicht aber mitverdienen. Selbst Firmen, die sich «in China lokal aufstellen», werden abgewiesen.

In der Wirtschaft wie bei globalen politischen Themen, Europa müsste allmählich lernen, mit einer Stimme zu sprechen, wenn es im sich gerade neu sortierenden Weltgefüge nicht marginalisiert werden will. Dass dies bald geschieht, möglicherweise schon auf dem EU-China-Gipfel in Prag, ist allerdings nicht zu erwarten. So wie es steht, dürfen die Europäer dankbar sein, dass Chinas Ministerpräsident derzeit ausnahmsweise nicht verstimmt ist und gnädigerweise anreist.

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