Finanzkrise bringt Inselrepublik vor Staatsbankrott. IWF prüft Hilfsaktionen. Weltweit wackeln Banken. Kapital sucht vergeblich nach sicheren Häfen

Wird Island bald von Moskau übernommen, fragten sich am Dienstag Beobachter. Oder doch vom Internationalen Währungsfonds? In Zeiten, in denen aktuelle Entwicklungen sich nicht mit den Maßstäben bisheriger Erfahrungen messen lassen, scheint alles möglich. Fakt ist, daß der kleine Staat im Nordatlantik erster Kandidat für einen Staatsbankrott ist. Trotz verzweifelter Rettungsaktionen von Regierung und Notenbank geriet das Finanzsystem auf der Insel im Laufe des Dienstags offenbar zeitweise außer Kontrolle.

»Wir sind mit einem Team vor Ort«, zitierte die Onlineausgabe der Financial Times Deutschland (ftd.de) am Nachmittag einen IWF-Beamten. Das Land habe den Währungsfonds um Hilfe angerufen, hieß es. Zuvor hatte die isländische Regierung den Bankensektor mit einem Notgesetz quasi verstaatlicht. Sie kann jetzt jederzeit bei den Geldhäusern eingreifen, sie zum Zusammengehen zwingen, deren Führung auf die Straße setzen oder die Bezahlung der Manager festlegen. Was nicht mehr viel nützen dürfte.

Die »Pionierleistungen« der isländischen Kreditinstitute auf den Märkten für speziellen US-Finanzmüll haben dem Land zuerst einen beispiellosen Boom beschert, jetzt reißen sie die Eisinsel in den Abgrund. Regierungschef Geir Haarde sprach vor dem Parlament in Reykjavik von der »reellen Gefahr« eines kompletten Bankrotts der Volkswirtschaft.

Der isländischen Krone gab das am Dienstag viel Schwung – auf dem Weg nach unten. Kaum hatte die Zentralbank den Kurs zum Euro am Dienstag bei eins zu 133 festgelegt, spekulierten die Händler weltweit gegen die Inselwährung. Daraufhin verbilligte sich die Krone, und man bekam 144 davon für einen Euro. Dann wurde Rettung angekündigt: Vier Milliarden Euro gewähre Rußland als Kredit, hieß es. Das konnte die Abwärtsbewegung der Landeswährung stoppen. Vorübergehend.

Was Rußland bewogen haben sollte, eine gute Portion seiner noch reichlich vorhandenen Petrodollar und -Euro in den isländischen Abgrund zu werfen, ist nicht klar. Noch während die für Island positive Nachricht über die Agenturen lief, erklärte Premier Wladimir Putin in Moskau, er wisse nichts von einem Kredit. Das ließ die Probleme der 300000 Isländer nicht kleiner werden.

Wovon Putin wußte, war, daß Rußlands Banken selbst mächtig rudern müssen, um nicht vom Krisensog verschlungen zu werden. Präsident Dmitri Medwedew teilte am Dienstag in Moskau mit, daß der Staat den Banken des Landes eine Finanzspritze in Höhe von 950 Milliarden Rubel (26 Milliarden Euro) gewährt habe. Das ließ die Moskauer Börsenkurse ins Plus drehen, nachdem sie vorher erdrutschartig verloren hatten.

Auch in Großbritannien herrschte am Dienstag weiter große Unsicherheit beim Finanzkapital. Aus der Londoner City, neben der Wall Street praktisch das zweite Epizentrum der Finanzkrise, kam es eher kleinlaut: Man braucht Geld vom Staat. Laut BBC hatte es in der Nacht zu Dienstag ein Krisentreffen der drei größten Banken mit den Spitzen von Notenbank, Finanzministerium und Finanzaufsichtsbehörde gegeben. Die Geldhäuser sollen neue Mittel von jeweils 15 Milliarden Pfund verlangt haben. Das ließ am Dienstag die Aktien der Royal Bank of Scotland (RBS), Lloyds TSB und Barclays fallen. Mit einem zwischenzeitlichen Minus von 25 Prozent war die RBS Negativrekordhalter, und deren Aktien wurden zeitweise vom Handel ausgesetzt. Barclays dementierte, bei der Regierung nach finanzieller Unterstützung gefragt zu haben, doch so recht glauben wollte das keiner der Marktteilnehmer.

Die Stimmung unter den Besitzern und Verwaltern der elektronischen Milliardensummen ist hochgradig hysterisch. Die Grundfrage lautet, wohin mit dem Geld? Da es in Krisenzeiten kaum »sichere Häfen« gibt, kommt es zu äußerst skurrilen Momenten. So stieg der Aktienkurs des Autobauers VW am Dienstag um mehr als 50 Prozent. Während die Automobilbranche gerade in eine veritable Absatzkrise fährt, wurden ohnehin teure Volkswagen-Titel massiv gekauft. Analysten hatte keine rationale Erklärung dafür.

Der IWF hat inzwischen seine Schätzung zu den Folgekosten der weltweiten Finanzkrise deutlich nach oben korrigiert. Die Verluste werden sich auf 1,4 Billionen Dollar (1000 Milliarden Euro) summieren, gab die UN-Spezialorganisation in ihrem am Dienstag vorgelegten Halbjahresbericht bekannt. Im April war der Währungsfonds noch von Kosten in Höhe von einer Billion Dollar (740 Milliarden Euro) ausgegangen. Der IWF forderte von der internationalen Gemeinschaft – also quasi den Steuerzahlern – eine »kollektive Verpflichtung«, der Finanzmarktkrise entschlossen entgegenzutreten.

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